Wie ich zum Schreiben kam.

Oder die Anfänge zu meinem ersten richtigen Roman

 

Ich hatte schon immer den Traum, einmal ein Buch zu schreiben. Doch wie das mit Träumen so ist, bleiben sie oft nur Träume.

 

Geschichten habe ich geschrieben seit ich denken kann, allerding fanden die nur als Tagträume in meinem Kopf statt. Irgendwann schrieb ich dann die erste Kurzgeschichte auf.

Später entwarf ich einzelne Illustrationen zu den Kindergeschichten. Dann schrieb ich „Jori, der kleine Troll – Der erste Schultag“ und illustrierte das Kinderbuch vollständig. Es hat mir viel Spaß gemacht.

Hier halte ich zum ersten mal die Hardcoverversion meines ersten Romans in Händen :o)))
Hier halte ich zum ersten mal die Hardcoverversion meines ersten Romans in Händen :o)))

Illustration aus dem Kinderbuch "Jori, der kleine Troll - Der erste Schultag"
Illustration aus dem Kinderbuch "Jori, der kleine Troll - Der erste Schultag"

Der Gedanke reifte, meinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen und ein richtiges Buch zu schrieben, einen Roman. Das war im Juni 2006.

 

Zu dieser Zeit arbeitete ich als Persönliche Assistentin (es gibt auch eine komplizierte deutsche Berufsbezeichnung, die ich allerdings immer wieder vergesse …) bei einer jungen Frau namens Jolene. Jolene hatte eine sehr aggressive Form von MS (Multiple Sklerose), war bereits erblindet und saß im Rollstuhl. Sie benötigte Hilfe in fast allen Lebenslagen – dafür war ich da. Jolene liebte Bücher. Wir lasen sehr viel – ich las ihr vor. Außerdem hörte Jolene Hörbücher.

 

Jolene van Seggelen 02. Aug. 1986 - 25. Nov. 2009
Jolene van Seggelen 02. Aug. 1986 - 25. Nov. 2009

Eines vorweg, bevor sich einige aufregen: Ich habe die ausdrückliche Erlaubnis der Eltern, über Jolene zu erzählen. Solange über sie berichtet wird, lebt sie in den Gedanken der Menschen weiter. Eine Ansicht ihrer Mutter, die ich durchaus teile.

 

Da Jolene viele Ruhephasen benötigte, in denen ich auf Abruf bereit stehen musste, ergaben sich für mich jeden Nachmittag etwa zwei Stunden „Leerlauf“. Ich konnte nicht wirklich etwas tun, denn ich musste im Nebenzimmer jederzeit bereit sein, ihr zur Hilfe zu eilen.

 

In dieser Zeit fasste ich den Entschluss, meinen Traum endlich in die Realität umzusetzen. Ich wollte ein richtiges Buch schreiben.

 

Ich liebe Fantasy und Science Fiction. Ich hatte eine vage Idee für ein Fantasy-Kinderbuch im Kopf. Um dem Ganzen Substanz zu verleihen, begann ich mich mit Mythologien zu beschäftigen und beschloss meine Geschichte in die nordische Mythologie einzubetten.

 

Es war keine fertige Idee, sondern ein Reifeprozess. Zuerst gab es die Idee um ein Mädchen, das aus einem Heim flieht und dann mit Hilfe von Feen und Magie zu sich selbst findet. Die Grundidee ist geblieben, doch sonst hat „Die Erben der alten Zeit“ nicht mehr viel damit zu tun. Es wurde auch kein Kinderbuch, sondern ein AllAge ab 14 Jahre.

 

Aber zurück zu den Anfängen. :o)

 

Ich nutzte Jolenes Ruhephasen, um zu recherchieren und den roten Faden zu entwerfen. Später erzählte ich ihr von meinen Ideen. Sie war Feuer und Flamme. Jolene war eine sehr kreative, talentierte junge Frau, die selbst malte. Sogar in ihrem erblindeten Zustand, hat sie weiter mit Farben experimentiert und Bilder gemalt.

 

Dieses Bild malte Jolene als sie bereits fast erblindet war. Bei einer Schulausstellung hat sie es mit diesem Spruch präsentiert, den sie selbst geschrieben hat. Keiner wusste zu der Zeit wie wahr er werden sollte.

 

Der Schein des Mondes erleuchtet die Dunkelheit.

Zusammen gehen wir durch die Nacht.

Alles ist schön und glücklich. (Im Sinne von: Es ist wie

es sein soll.) Jolene van Seggelen

Wir diskutierten meine Ideen, und Jolene machte viele Vorschläge, von denen ich so einige aufgriff und in meine Geschichte integrierte. Sie liebte schöne Dinge, vor allem die Farbe Rosa hatte es ihr angetan. Jolene hatte beispielsweise die Vorstellung von einer rosa Blüte, in deren Mitte ein Diamant ruht. Ich baute ihre Idee dieser bezaubernd schönen Seerose zu den „Nornen der Zeit“ aus, die in der Trilogie eine entscheidende Rolle spielen. Obwohl Jolene der Gedanke, dass so etwas wunderschönes Leben nehmen konnte, etwas widerstrebte. :o) Sie war ein „guter“ Mensch.

 

„Die Diamanten der Nornen summten und vibrierten leise vor sich hin. Der süßlich lockende Duft - für männliche Wesen so gefährlich - lag in der Luft. Charlie atmete ihn tief ein. Der Geruch war unbeschreiblich - süß, kräftig und schwer, betörend und sinnesfüllend, aber zugleich erdrückend und gefährlich.“ (Zitat aus „Die Erben der alten Zeit – Das Amulett)

 

Als ich ihr von Schwarzelfen und Lichtelfen erzählte, die in meinem Buch zu wichtigen Völkern der fantastischen Welt gehören sollten, da sah sie sofort kleine libellenartige Wesen vor sich, die in rosa Häuschen in einem riesigen Baum wohnten. In ihrer Vorstellung gab es sogar ganze Schlösschen mit winzigen Spitzengardinen und Balkonen. Ich griff auch diese Idee auf und erschuf Lichtelfen, die trotz schwerem Schicksal immer fröhlich sind und singen und tanzen. Sie leben, wie Jolene es wollte, in großen Bäumen. Allerdings in zuckerwatteähnlichen Kokons. Natürlich in Rosarot.

 

„»Das ist wunderschön!«, stieß Tora aus, als sie unter das Blätterdach traten und ihren Blick durch die Baumkrone gleiten ließ. »Sollen wir dort hinauf?«, fragte sie mit glänzenden Augen. Nyva war bereits von Biarns Schulter auf den ersten Ast gehüpft und wuselte nun mäuseflink den stark verzweigten, schwarzen Stamm hinauf.

Dass es so etwas überhaupt gibt, ist unglaublich und unendlich kitschig, schoss es Charlie durch den Kopf. Jedes rosa liebende Mädchen auf der Erde wäre genauso entzückt gewesen wie Tora. Vermutlich hätten sie alle vor Begeisterung jauchzend in die Hände geklatscht.

Die weitverzweigte Baumkrone mit ihren silbernen Blättern hing voll von Behausungen jeglicher Größe – alle in rosa und weiß. Die kleineren Nester sahen aus wie gesponnene Zuckerwattekokons – doch an jedem dicken Ast hing auch mindestens ein Märchenschloss. Ja, genauso würde Charlie es beschreiben, Schlösschen aus bauschig gesponnener Zuckerwatte inklusive Kuppeln und Türmchen.“ (Zitat aus „Die Erben der alten Zeit – Ragnarök“)

 

 

Wir hatten viel Spaß mit der Gestaltung der fantastischen Welt. Ich schrieb sogar die ersten Kapitel in Jolenes Ruhephasen, bevor ich selbst erkrankte und bis heute krankgeschrieben bin. Aber in unserer, Jolene und meiner, gemeinsamen Zeit – wir hatten auch später noch Kontakt – beflügelte die Magie unsere Sinne.

(Weshalb ich krank wurde, das könnt ihr hier nachlesen. Beitrag: Wenn der Körper dich im Stich läßt. Das Schreiben, sich in andere Welten zu flüchten, hat mir über eine sehr schwere Zeit geholfen und es ist und bleibt ein wichtiger Teil meines Lebens.)

 

Jolene glaubte an Mutter Erde und an die Göttin.

Sie war Animist, was bedeutet, dass sie daran glaubte, dass alles eine Seele hat. (Zitat: Animisten betrachten jeden auch nur all so kleinen Teil der Welt als einen beseelten Ehrfurcht gebietenden Kosmos, der der Seele der monotheistischen, mosaischen Religionen vergleichbar ist. Für sie ist die spirituelle Welt die eigentliche Realität. Quelle: Wikipedia)

 

Jolene war schon immer etwas anders als andere Menschen. Ihre Mutter Janette beschreibt sie als "eine alte Seele in einem jungen Körper". Jolene schien Menschen zu sehen, die nicht da waren, fühlte die Anwesenheit von Kraftfeldern und konnte Personen über das normale Maß hinaus abschätzen (erfühlen).

Sie durfte, laut ihrer Mutter, den Computersaal in der Schule nicht mehr betreten, da die Computer in ihrer Nähe einfach kaputt gingen. Selbstverständlich, dachte man, dass sie es mit Absicht machte. Doch auch Jolenes Mutter Janette scheint eine körpereigene Energie zu haben, die elektrische Geräte lahmlegt. Nicht in Jolenes Ausmaß, doch es genügt, um ihr das moderne Leben schwer zu machen.

 

Jolene hatte keine Angst vor dem Tod. Sie hatte panische Angst davor, in ihrem eigenen Körper gefangen zu werden. Und genau dies musste sie durchleben, bevor sie in eine andere Welt hinüber gehen durfte. Jolene konnte zuletzt nur noch liegen, sich kaum bewegen.

Sie akzeptierte sehr schnell, dass sie krank war und dass daran nichts zu ändern war. Sie fragte nie „warum ich?“, sie nahm es als gegeben hin.

Jolene Lieblingstier war die Fledermaus. Sie wollte Lastwagenfahrerin werden, genau wie ihr Vater. Sie durfte sich nie ernsthaft verlieben, nie alleine wohnen, nie ihr eigenes Leben leben. Sie durfte nicht einmal über ihren eigenen Körper entscheiden, da in Schweden Sterbehilfe verboten ist. Stattdessen musste sie sich selbst zu Tode hungern, um ihrem Martyrium zu entkommen.

Sie wurde gerade einmal 23 Jahre alt.

Eine starke Frau, die wusste was sie wollte.

„In Erinnerung an Jolene“ steht in der Widmung des ersten Teils meiner Trilogie „Die Erben der alten Zeit - Das Amulett“. Und ich werde mich immer an sie erinnern. Leider hat sie die Veröffentlichung des Buches nicht mehr miterleben können.