Minileseprobe aus "Das Vermächtnis der Lil`Lu: Danniella - Engelsflügel"

Minileseprobe

 

»Lasst doch mal das arme Mädchen in Ruhe!«, rief Josefin lachend und drängte sich durch die Männertraube um mich herum. »Sie kann ja kaum noch atmen!« Und schon umklammerte sie mein Handgelenk wie einen Schraubstock und zog mich unter lachenden Protesten der Jungs auf die Tanzfläche – das Parkett in Amandas Wohnzimmer. Sie schirmte mich mit ihrem üppigen Busen effektiv vor den anderen ab und zwinkerte mir zu.

»Danke«, wisperte ich erleichtert.

»Die sind ja sowas von hormongesteuert«, lachte Josefin. Ich nickte dankbar und begann mich zur Musik zu bewegen. Erst vorsichtig, dann immer ausgelassener. Es war wie eine Befreiung. Ich schaltete meine Umgebung aus, verdrängte sogar effektiv diesen nervenzerrenden Sog und gab mich der seltsamen, doch rhythmisch mitreißenden Musik hin. Ich schloss die Augen und ruhte mich in der beruhigenden


Blase aus, die mich zu umgeben schien. Ich spürte Josefin an meiner Seite – eine positive Kraft, die es schaffte, die negativen Energien fernzuhalten, die gedroht hatten, mich in ihren Bann zu ziehen. Josefins Fröhlichkeit war ansteckend, fast als benutzte sie Hexenkräfte, um ihre Umgebung zu beeinflussen. Ich tanzte mir die aufgestauten Emotionen aus dem Körper und befreite mich lachend aus der mich umgebenden Blase. Josefin strahlte mich an. »Viel besser!«, rief sie, legte den Kopf schief und zwinkerte mir zu. Amanda und einige andere Mädchen hatten sich zu uns gesellt. Wir tanzten ausgelassen in der Mitte aller Gäste, die uns anerkennend und fröhlich zuschauten. Es wurde ein wirklich netter Abend. Wir tanzten, lachten, redeten und knabberten Snacks. Da der Alkohol in Mengen floss, fiel ich mit meiner etwas anderen Art gar nicht auf – ich war einfach eine interessante Bereicherung, jemand der Neues, leicht Fremdes mitbrachte. Es wurde hier und da über Emilies Verschwinden getuschelt und darüber, dass Lovisa mit einem fremden, gut aussehenden Mann durchgebrannt war. Ich wurde natürlich gefragt, ob ich mehr über Lovisa wusste, da ich ja laut Alibi ihre Cousine war. Doch man ließ mich schnell in Ruhe, als von mir nichts Neues zu erfahren war.

»Wie kannst du so fröhlich sein«, fragte ein mir fremdes Mädchen Josefin ungehalten. Wir machten gerade wieder eine Tanzpause und hatten uns aus dem Trubel im Wohnzimmer in den etwas ruhigeren Flur zurückgezogen. »Deine beste Freundin ist spurlos verschwunden, und du tanzt hier, als wäre nichts gewesen!«

Ich blickte Josefin verwundert an. Emilie war ihre beste Freundin?

»Das geht dich nichts an«, sagte Josefin gelassen. »Wer hat dich überhaupt eingeladen?« Das Mädchen schnaubte verächtlich und dampfte ab.

»Du und Emilie?«, fragte ich leise.

Josefin lachte. »Du kennst Emilie?« Ich nickte und versuchte, mir die sanfte, intelligente Emilie in Josefins Gesellschaft vorzustellen. Zu meinem Erstaunen gelang mir das recht gut. Vermutlich hatte Josefin auf Emilie eine ähnlich auflockernde Wirkung wie auf mich.

»Machst du dir keine Sorgen?«, fragte ich leicht befremdlich.

Josefin zuckte mit den Schultern. »Das klingt vielleicht seltsam, aber ich bin sicher, dass es ihr gut geht.«

Ich sah sie überrascht an. Und leicht skeptisch. War Josefin tatsächlich so oberflächlich? »Wie kannst du das glauben? Sie soll doch entführt worden sein?«

Josefin biss sich auf die Unterlippe. »Du wirst mir nicht glauben, und es ist auch unwichtig, ob du es tust. Wichtig ist nur, dass ich es glaube.« Sie sah mich direkt an, ein Lächeln umspielte ihren sonst lachenden Mund. »Meine Großmutter ist seit gestern zu Besuch. Sie … spürt Dinge. Manchmal sieht sie auch Ereignisse. Niemand glaubt hier wirklich an solche Dinge.« Sie zuckte wieder mit den Schultern. »Ich glaube ihr. Alles, was sie je gesagt hat, war richtig. Und sie sagt, dass es Lovisa und Emilie gut geht. Dass sie nur ihrem Schicksal folgen, ihrer Bestimmung.«

Mir wurde heiß und kalt zugleich. Josefins Großmutter war eine Hexe! »Sie hat das Zweite Gesicht?«, hauchte ich. »Welches Schicksal? Welche Bestimmung?«

Josefin sah mich an. »Du bist anders. So wie Emilie.« Ich schwieg angespannt. Josefin schien gar keine Antwort erwartet zu haben. »Ich weiß nicht, was Großmutter genau damit meint. Sie auch nicht. Sie hat es gespürt, Einzelheiten kann sie nie sagen. Doch ihr Gespür hat sie noch nie im Stich gelassen. Ich glaube ihr. Lovisa und Emilie geht es gut. Sie kommen nicht zurück. Ich kann es nicht ändern. Und es ändert auch nichts, wenn ich todunglücklich darüber brüte.« Wieder zuckte sie mit den Schultern. »Also kann ich auch lachen und ich sein. Fröhlich sein ist das, was mir am leichtesten fällt.«

Ich nickte und lächelte Josefin an. Sie war nicht die intelligenteste Person, doch ihr Herz war am rechten Fleck und sie folgte ihren Gefühlen. Sie besaß einen Hauch von Hexenkraft, geerbt von ihrer Großmutter mit dem Zweiten Gesicht. Sie wusste nichts davon. Ob ihre Großmutter wusste, dass sie Hexenblut in ihren Adern trug? Gestern, Josefin sagte, dass ihre Großmutter gestern zu Besuch kam, und spürte, dass es Lovisa und Emilie gut ging. Ich atmete erleichtert auf. Ein Gespür einer Hexe war besser als gar nichts. Ich klammerte mich daran fest. Emilie ging es gut. Alexander passte auf sie auf.

»Ich geh wieder tanzen. Kommst du?«, fragte Josefin dann, als hätte dieses Gespräch nicht stattgefunden.

»Gleich«, antwortete ich. »Ich muss noch mal …« Ich zeigte Richtung Bad.

Ich musste nicht, ich wollte nur kurz allein sein.

 

Der Flur war leer, als ich die Tür nach einigen Minuten Ruhe wieder hinter mir schloss. Ich hörte die Schritte in der Auffahrt und roch ihn, bevor er auch nur die Haustür erreichte. Ich erstarrte in der Bewegung. Der Sog war übermächtig. Meine Füße trugen mich von allein vorwärts, ich riss die Tür auf, mein Vanilleduft umwaberte mich wie eine Wolke und griff nach ihm.

Er war groß, hatte braunes Haar und Grübchen an den Wangen, die zusammen mit seinem Lächeln verschwanden, als er mich mit seinen Blicken förmlich aufsaugte. Mein Verstand war ausgeschaltet, genau wie bei dem Mann am Fluss. Mein Körper reagierte instinktiv. Ich bewegte mich auf ihn zu, stieß ihn zur Tür hinaus und wollte gerade meinem inneren Drang folgen, uns beide vor ungebetenen Zuschauern in Sicherheit zu bringen, als hinter mir eine Stimme rief: »Marcus! Wie schön, dass du doch noch kommen konntest!«

Ich wirbelte herum und erblickte das Mädchen, das Josefin zuvor so ungehalten nach Emilie gefragt hatte. Dann setzte mein Verstand wieder ein. Ich verharrte regungslos, bis in die Haarspitzen angespannt und kämpfte gegen den unbändigen Drang an, diesem Püppchen das Genick zu brechen. Nur mit Mühe unterdrückte ich ein tiefes Knurren, das sich in meiner Kehle aufstaute.

Das Mädchen warf mir giftige Blicke zu, wandte sich dann Marcus zu und ignorierte mich gekonnt. »Komm doch rein, Marcus«, sagte sie zuckersüß. »Wir haben dich schon vermisst!« Mein Vanilleduft verflüchtigte sich, Marcus schüttelte sich verwirrt und starrte mich immer noch leicht benebelt an, während das Mädchen ihn am Arm fasste und einfach an mir vorbeiführte. Ich verwendete meinen letzten Funken Beherrschung darauf, nicht doch noch meiner Königinnennatur zu folgen. Der Sog war derart stark, dass ich am ganzen Körper zu zittern begann. Nur die Nähe dieses Mädchens hielt mich bei Verstand, und ich klammerte mich mit aller Gewalt daran fest. Nicht hier, nicht jetzt, nicht vor Zeugen. Ich konnte das, ich musste nur noch ein paar Sekunden durchhalten.

In dem Moment, in dem das Mädchen mit dem immer noch neben sich stehenden jungen Mann um die Ecke verschwand, floh ich Hals über Kopf aus dem Haus. Die Straßen waren leer, ich rannte viel zu schnell für diese Welt, ich musste weg. Nur weit weg.

Klappentext

Danniella ist ein Nephilim – ein Wesen mit Flügeln und Krallen. Die Nephilim sind eine eigenständige Rasse, mit den Menschen verwand, aber mit Engelsblut in ihren Adern. Engel, die einst zu den Menschen herabstiegen und sich mit ihnen paarten

Auf Danniellas Erde – einer Erde von vielen – in ihrem Universum, leben Nephilim und Hexen in Frieden zusammen. Doch seit Jahrtausenden wird ihre Erde von Wechslern angegriffen, von Menschen aus anderen Universen. Denn Nephilim werden gejagt, mit dem Ziel sie auszurotten.

Danniella ist eine Nephilimkönigin, ihre Aufgabe ist es Krieger zu gebären, die ihre Welt schützen sollen. Ihr Schicksal scheint vorausbestimmt, doch dann geschieht das Unfassbare. Danniella wird von einer Sekunde auf die andere in ein anderes Universum geschleudert, wo sie plötzlich Menschen gegenübersteht, allein, in einer fremden Welt. Menschen, die eigentlich ihre erklärten Todfeinde darstellen.

 

Dieser 4. Band der „Das Vermächtnis der Lil`Lu“-Reihe kann auch unabhängig von den anderen Büchern gelesen werden, da die Geschichten der einzelnen vier Frauen dieser Reihe (Lovisa, Emilie, Danniella, Kristin) in sich abgeschlossen sind.